Felix Geschichte

Heute möchten wir euch von unserem aktuellsten Notfall berichten: Felix. Felix ist kein Hund, den wir vermittelt haben. Wir wurden durch unser zuständiges Veterinäramt in Chemnitz auf ihn aufmerksam gemacht. Nachbarn hatten die zuständigen Behörden aufgrund der schlimmen Zustände eingeschaltet. Wir wollen niemanden bloßstellen oder bewerten.  Trotzdem möchten wir euch gleich am Anfang mit den folgenden Bildern veranschaulichen, wie Felix die letzten Jahre gelebt hat, weil wir glauben, dass dies für ein besseres Verständnis seiner Geschichte beiträgt. Die folgenden Bilder sind bei unserem letzten Besuch entstanden:

Wie kamen wir nun zu Felix? Alles begann bereits Anfang des Jahres mit einem Anruf durch unsere Amtsveterinärin. Diese informierte uns, dass seine jetzt ehemaligen Besitzer, ein Mitte/Ende 70-jähriges Ehepaar, vermutlich dement, sehr zurückgezogen in einer Wohnung am anderen Ende von Chemnitz gemeinsam mit einem adulten Hund namens Felix lebten. Wie an den Bildern schon zu erkennen ist, brauchten diese Menschen, aber eben auch der Hund, dringend Unterstützung. Hilfe nahmen sie aber nur mit viel Überzeugungsleistung der Nachbarn & Druck durch verschiedene Ämter an. Wir wurden erstmals telefonisch am 02.02.2024 über Felix informiert. Dort teilte man uns mit, dass Felix Besitzer seit Monaten nicht mehr mit ihm Gassi gehen & auch sein Pflegezustand nicht ideal ist. Trotzdem gab es nicht genügend Faktoren, die eine Beschlagnahmung rechtfertigen würden. Faktoren wären hier beispielsweise Misshandlung oder ein katastrophaler Gesundheitszustand des Hundes. Dies lag augenscheinlich nicht vor. Es stand die Vemutung im Raum, dass Felix, da er anscheinend ein Spitzmix ist & aus Ungarn stammen soll, aus unserer Spitzrettung stammen könnte, weshalb wir überhaupt erst von unserer Veterinärin angesprochen wurden.

Am gleichen Tag machte sich eines unserer Teammitglieder mit Geschirr, Leine & Bürste bewaffnet auf den Weg zu der Familie. Wir waren sowohl nervös, aber auch neugierig. Wir informierten bereits unsere Spitzrettung, sodass sich diese für weitere Infos (Fotos, Chipnummer,…) bereithielten, um diese ggf. gegenzuchecken. Uns begrüßte eine sehr magere Frau im Nachthemd und ein sehr aufgeschlossener, schwarzer Fellball namens Felix. Unser Teammitglied stellte sich kurz vor & die Frau übergab Felix zum Gassigang. Binnen weniger Minuten stellte unser Teammitglied Susann fest, was für ein toller, aber absolut unterforderter Hund da vor ihr stand. Felix war freundlich, offen, menschenbezogen, voller Energie, lies sich problemlos überall anfassen, lief super an der Leine und reagierte gut auf seinen Namen. Er wollte rennen & toben, kuscheln und schnüffeln. Nach einem 1-stündigen Spaziergang versuchte sie sich dann noch einen Überblick über seinen Zustand zu machen. Neben zahlreichen Verfilzungen bis auf die Haut sowie Schuppen, einer auffälligen Verdauung (Durchfall) & einem übelriechenden Gestank (Fell & Haut), schien Felix äußerlich soweit in einem akzeptablen Zustand zu sein. Als er zurückgebracht wurde, wurde Susann dann kurz in die Wohnung gebeten. Natürlich wollten wir noch herausfinden, was Felix gesamte Geschichte war! Die Besitzerin war freundlich und begann sofort an zu erzählen. Der freundliche Rüde wurde wohl vor einigen Jahren durch die Besitzer selbst aus Ungarn nach Deutschland gebracht. Dies ergab beim zweiten Besuch auch Sinn, denn mittles Chiplesegerät stellten wir fest, dass Felix einen deutschen Chip hatte. Vermutlich wurde er illegal eingeführt. Einen Pass konnten die Besitzer zu keiner Zeit vorzeigen. Die Besitzerin sagte uns auch, dass sie zuvor jahrelang in einer Gartenanlage gelebt hatten und erst seit 2 Jahren in dieser Wohnung leben würden. Hundefutter würde die Nachbarin ab und an besorgen, ansonsten bekäme Felix wohl Essensreste. Einen Tierarzt konnte sie uns nennen, bei dem sie angeblich mit Felix vorstellig war. Dieser wurde von uns aufgesucht und teilte dann (aus Datenschutzgründen natürlich nicht uns direkt) unserer Veterinärin mit, dass die Familie zuletzt 2009 mit einem anderen Hund vorstellig war. Die Wohnung, aber auch die Menschen, waren in einem, wir würden sagen, menschenunwürdigen Zustand – Details möchten wir euch an dieser Stelle ersparen!

Video Verfilzungen (hier klicken)

Video Spaziergang mit Felix (hier klicken)

Für uns war klar: wir müssen hier in irgendeiner Art und Weise helfen. Jedoch war es uns rechtlich nicht möglich, diesen Hund einfach mitzunehmen. Bei den nächsten Besuchen versuchten also Susann und Anja von unserem Team Felix von seinen Verfilzungen zu befreien und ihm wenigstens etwas Auslauf & Abwechslung zu ermöglichen. Nach ein paar Wochen erlaubte uns die Besitzerin sogar Felix über Nacht mitzunehmen. Diese Chance nutzten wir direkt, um dem kleinen Kerl ein dringend notweniges Bad zu ermöglichen! Danach fühlte er sich sichtlich wohler. Er verhielt sich in verschiedenen Situationen sehr devot, z.B. duckte er sich, wenn man die Hand hob – hier können wir natürlich nur Mutmaßungen anstellen. Bei unseren Besuchen war uns der harsche Umgangston („Drecksköter“, „Scheißkerl“) gegenüber Felix aber bereits aufgefallen. Unser Plan war am Folgetag die Besitzer zu bitten, uns den Hund zu übergeben. Sie hatte schon ein gewisses Vertrauen aufgebaut und wir hofften, dass dies ausreicht und die Besitzer einsehen, dass es für Felix das Beste wäre. Natürlich geschah dies immer in Rücksprache mit dem Veterinäramt. Leider ging der Plan nicht auf. Der Besitzer reagierte recht aggressiv auf den Vorschlag und verbot uns jemals wiederzukommen. Da die Demenz anscheinend bereits weiter fortgeschritten war, konnten sie sich in der Folgewoche glücklicherweise nicht mehr daran erinnern. So vergingen also Wochen um Wochen mit Spaziergängen und kurzen Gesprächen mit den Besitzern.

Vor wenigen Tagen erreichte uns dann eine Nachricht der Nachbarin, mit der wir versuchten in Kontakt zu bleiben bezüglich Updates zu der Familie. Sie erzählte uns, dass der Besitzer vor kurzem einen Schlaganfall erlitten hatte und nun seit geraumer Zeit nicht mehr Zuhause war. Ob er jemals wieder nach Hause kommt, weiß zu diesem Zeitpunkt niemand, da erst der Krankenwagen gerufen wurde, als der Pflegedienst viele Stunden später vorbeikam. Anja & Susann machten sich also am Samstag mit einem Übergabevertrag im Gepäck wieder auf den Weg zu Felix. Wir möchten an dieser Stelle betonen, dass wir einer alten Dame niemals ihren einzigen sozialen Kontakt hätten nehmen wollen, wenn wir das Gefühl gehabt hätten, dass ihr Felix wirklich am Herzen liegt und sie sich (mit Unterstützung) angemessen um ihn hätte kümmern können. Am Samstag, den 15.06.2024, öffnete uns die Besitzerin die Tür. Sie war sichtlich angeschlagen & sagte uns auch, dass es ihr gesundheitlich, aber auch seelisch, schlecht ging. Wir sagten ihr, dass wir im Anschluss gern mit ihr reden möchten, um ihr zu helfen und gingen erst einmal mit Felix spazieren. Wir wussten ja nicht, ob unser Plan aufgehen würde – trotzdem wollten wir Felix etwas Auslauf ermöglichen. Nach unserem Spaziergang begaben wir uns wieder in die Wohnung. Dort sprachen wir mit der Besitzerin, die unsere Hilfe, Felix mitzunehmen und uns um ihn zu kümmern, erst ablehnte. Sie sagte, er sei ihre einizige Möglichkeit ihren Kopf etwas anzustrengen. Dann fiel der Satz: „Wenn wenigstens der Fernseher funktionieren würde.“ Die Frau tat uns wirklich leid. Durch ihre Demenz wusste sie nicht, wo ihr Mann war und hatte keinerlei Möglichkeit ihn zu kontaktieren. Um ihr weingstens eine kleine Freude zu machen, schalteten wir also den Fernseher ein – zuvor hatte immer nur der Mann den TV bedient & die Fernbedienung war auch im Chaos verschwunden. Sie war unfassbar glücklich und dankbar. Wir wiederholten dann nochmal unser Angebot und plötzlich stimmte sie zu! Wir fragten sie dann erneut, damit wir sicher gehen konnten, dass sie verstand, was wir meinten. Ohne mit der Wimper zu zucken unterschrieb sie den Übergabevertrag und trat sämtliche Besitz- und Eigentumsrechte an unseren Verein ab. Wir sagten ihr, dass wir versuchen würden herauszufinden, wo ihr Mann ist. Am nächsten Tag konnten wir durch Zufall mit dem Pflegedienst sprechen, der nun versuchen wird, eine Möglichkeit zu finden, dass die Frau wenigstens regelmäßig Updates bekommt. Der Pflegedienst hatte Felix bereits vermisst, da sie ab und an mit ihm spazieren gingen. Die Frau konnte der zuständigen Pflegerin wenige Stunden nach unserem Besuch nicht sagen, wo Felix war. Laut Aussagen der Pflegerin rief die ehemalige Besitzerin 2x nach ihm und sagte dann sie wüsste nicht, wo er ist und konzentrierte sich wieder auf den Fernseher. Bei jedem Besuch zeigten sich verschiedene Anzeichen der Demenz: Vergesslichkeit, Verwirrtheit, Aggression usw. Wir möchten an dieser Stelle aber nicht weiter ins Detail gehen.

Auch wenn es uns viele Nerven & Tränen gekostet hat, zählt für uns nur eins: Felix Neuanfang! Wir wissen nicht, wie lange Felix und seine Besitzer schon so in ihrem eigenen Dreck nebst Exkrementen und Schimmel leben. Nach unserem Wissensstand war Felix seit Jahren nicht mehr beim Tierarzt. Er wurde auch lange Zeit nicht gebürstet oder Gassi geführt. Nun aber ist der freundliche Rüde aber bei unserem Teammitglied Anja untergebracht, wird in den kommenden Tagen beim Tierarzt vorgestellt und ist dann hoffentlich ganz bald bereit ein liebevolles Zuhause zu finden.

Wir möchten abschließend noch sagen, dass Felix absolut kein Einzelfall ist. Die Tierheime sind übervoll, da sich gerade über Corona so viele Menschen Haustiere angeschafft haben und jetzt realisieren, dass sie diesen mit einem normalen Arbeitsalltag nicht mehr gerecht werden können. Wir wissen offiziell natürlich nur von den bekannten Fällen; die Dunkelziffer ist sicherlich weitaus höher. Nicht ohne Grund sind wir so streng bei unseren Vermittlungen! In Deutschland gibt es mittlerweile so viele Tiere, die vernachlässigt werden/wurden, im Tierheim landen, ausgesetzt oder sogar eingeschläfert werden. Ein Tier ist eine unfassbare, im besten Fall langjährige Verantwortung, finanziell, mental, körperlich & zeitlich. In Felix Fall waren seine Besitzer aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, sich um ihn zu kümmern. Gleichzeitig konnten sie dies aufgrund der Demenz nicht erkennen- diese Krankheit verändert Menschen! Uns hat dieses Schicksal seit fast einem halben Jahr extrem beschäftigt und mitgenommen. Wir hoffen, dass die Besitzer durch den Pflegedienst und die zuständigen Behörden die Hilfe erhalten, die sie so dringend
benötigen. Wir bitten von Schuldzuweisungen jeglicher Art abzusehen.

Für Felix beginnt nun ein neues Kapitel in seinem Leben – das ist alles, was zählt!

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